18 Mär 2022
Ethik im Coaching - immer und überall? Coaching im Spannungsfeld zwischen Recht und Ethik
Für Coaches und solche, die Coaching gerade erlernen, ist Ethik im Coaching mit all den komplexen Fragestellungen ein interessantes Feld. Desto mehr sie sich jedoch damit beschäftigen, desto unübersichtlicher scheint es zu werden. Warum ist das so?
Ethik scheint uns heute allgegenwärtig: es begegnet uns bei ESG, in der Wirtschaft, in der Medizin aber auch bei politischen Entscheidungen. Der Deutsche Ethikrat, dessen Mitglieder seit 2008 vom Deutschen Bundestag ernannt werden, hat mittlerweile 23 Stellungsnahmen und Empfehlungen zur Orientierung für Gesellschaft und Politik in Deutschland abgegeben.
Dabei ist Ethik ein weiter Begriff und jeder versteht darunter etwas anderes. Gut, wenn es dafür klare einheitliche Richtlinien gibt: wie die Ethikrichtlinie für Coaches des größten Berufsverbandes für professionelle Coaches weltweit: der International Coaching Federation (ICF). Neben den international einheitlichen ICF Kernkompetenzen gehören die sogenannten Ethical Guidlines zur ICF Gründungs – DNA: Qualitätscoaching sollte also schon vor über 25 Jahren endlich einheitlich messbar festgeschrieben werden.
Seither sind die Ethikrichtlinien immer wieder in den ca. 130 Chaptern weltweit miteinander diskutiert, nachgeschliffen und modernisiert worden und sind heute aktueller denn je. Das International Review Board (IRB) und die Ethikkommission der ICF Deutschland unterstützen dabei, dass Coaching i.S.d. ICF nicht nur wirkungsvoll, sondern vor allem ethisch korrekt ist. Verstöße können in einem streng vorgegebenen Prozess mit der Verpflichtung zu Schlichtungsgesprächen oder zur Nachschulung geahndet werden, in schweren Fällen droht sogar Aberkennung der Zertifizierung oder Ausschluss aus dem Verband. Im jährlichen Report des IRB werden alle Verfahren statistisch erfasst und aufbereitet. Zusätzliche Ethical Guidelines wie z.B. für die Arbeit in den Vorstands-Teams der einzelnen Landeschapter oder für die Ausbilder in den Coachingschulen, die ICF akkreditierte Ausbildungen anbieten, ergänzen die Ethical Guidlines für Coaches, die für das Coaching selbst gegenüber dem Coachee gelten.
Der hohe ethische Anspruch und die verschiedenen Richtlinien führen nicht immer zu einer einfachen Antwort in Ethikfragen.
Häufige Frage angehender Coaches ist beispielsweise, was muss ich wann an wen „melden“, wenn ich in meinem Coaching von einer Straftat erfahre? Was sagt die Ethikrichtlinie dazu?
Einerseits betreffen Ethikfragen Lebenssachverhalte, auf die es keine einfachen schwarz-weiß Antworten gibt – Ethik ist ein weiches Korrektiv und muss auslegbar und diskutierbar bleiben. Was ethisch korrekt ist, ist individuell. Man kann sich aber einem hohen ethischen Standard wie dem der ICF freiwillig verpflichten.
Andererseits sind viele Lebenssachverhalte, die wichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben, Gesundheit und Privatsphäre aber auch das Eigentum, Daten und Vermögen gefährden durch den Gesetzgeber geregelt worden: mit Recht und Gesetz gibt jede Gesellschaft für das gemeinsame Miteinander „harte“ Spielregeln vor, an die sich jeder zu halten hat. Diese (harten) Regeln entsprechen dem allgemeinen Werte-Konsens, sind also wenn man so will aus den (weichen) Korrektiven Ethik und Moral entwickelt worden. Der Unterschied:
Recht und Gesetz gelten für jedermann. Die ICF Ethikrichtlinien nicht.
Den ICF Ethikrichtlinien haben sich ICF Coaches freiwillig und selbstverpflichtend unterworfen. Sie gelten also längst nicht für alle Coaches. Und nur Coachee von ICF Coaches haben die Möglichkeit, sich in Zweifelsfragen an das International Review Board oder die deutsche Ethik-Kommission zu wenden.
Alles, was bereits in Recht und Gesetz geregelt ist, wird auch in erster Linie durch Recht und Gesetz beurteilt. Ethikrichtlinien füllen hier nur noch Ermessensspielräume, Gesetzeslücken und ungeregelte Sachverhalte.
Grundsätzlich gilt daher: Recht vor Ethik!
Alles, was gesetzlich geregelt ist, muss nicht mehr nach der Ethikrichtlinie beurteilt werden.
Das kann für ICF Coaches in Deutschland verwirrend sein:
In Deutschland und der EU sind wir Regelungsmeister: es gibt kaum noch „unreguliertes Gebiet“. Allenfalls die sich durch technischen Fortschritt und die Digitalisierung neu eröffnenden Welten bieten einen gewissen Freiraum.
In anderen Ländern sieht es anders aus; entweder werden sehr viel weniger Regelungen getroffen oder aber die Regelungen sehen sehr anders aus.
Da in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Dinge unterschiedlich gesetzlich geregelt sind, bietet die ICF Ethik-Richtlinie einen einheitlichen Mindeststandard für Coaching, ein Auffangnetz quasi.
Für ICF Coaches in Deutschland und solche, die es werden wollen, kann es schwierig sein, die internationalen
ICF-Ressourcen (wie Fallbesprechungen, Artikel und Videos) für Ethik zu nutzen, wenn nicht deutlich wird, aus welchem Land diese Ressource kommt. Ethik-Empfehlungen aus den USA sind daher in der Praxis in Deutschland nicht ohne weiteres umsetzbar, weil hier im Zweifelsfall eine gesetzliche Vorschrift den Sachverhalt bereits abschließend regelt.
Zurück zur Frage der Meldepflicht für Coaches:
Die Ethikrichtlinie verpflichtet Coaches in Deutschland nicht zur Anzeige, Meldung oder Handlung gegenüber Behörden. Diese entstehen aber aus Recht und Gesetz.
Gesetzliche Meldepflichten ergeben sich aus sehr unterschiedlichen Gesetzen: Für geplante Straftaten gegenüber Dritten gilt z.B. Paragraf 138 StGB, eine weitere Meldepflicht kann §323 c StGB entstehen, wenn sich der Coachee selbst verletzen möchte. Befürchtet der Coach, die Straftat könnte sich gegen ihn selbst richten, hat er alle Möglichkeiten des Opferschutzes.
Etwas anderes gilt, wenn der Coach erfährt, dass eine Straftat schon begangen worden ist, der Coachee also z.B. von seiner Kinder Porno Sammlung oder von ihm ausgeübter häuslicher Gewalt erzählt und der Coach zwischen Anzeigepflicht und Beihilfe durch Unterlassen steht.
Für den Straßenverkehr kann wiederum eine Pflicht zum Handeln entstehen, wenn der Coachee z.B. alkoholisiert zum Termin erscheint oder vom Termin wegfahren will. Meldepflichten gegenüber Behörden wie z.B. gegenüber dem Einwohnermeldeamt, dem Gewerbeamt oder dem Finanzamt treffen fast ausschließlich den Betroffenen also den Coachee und nicht Dritte wie den Coach. Melde- und Anzeigepflichten gegenüber Privatpersonen ergeben sich in der Regel nur bei strafrechtlich relevantem Verhalten wie oben beschrieben – mit der Ausnahme, wenn minderjährige oder nicht voll geschäftsfähige Personen in die Obhut des Coaches gegeben worden sind.
So unterschiedlich die Fälle sind: Im Einzelfall ist immer zu empfehlen, den schnellen Rechtsrat eines Anwalts oder einer Anwältin einzuholen, um die Situation zweifelsfrei beurteilen zu können und professionell zu bleiben.
Wenn sich nun aber aus Recht und Gesetz „Meldepflichten“ ergeben, steht dann nicht die mit dem Coachee (oder dem Auftraggeber) vereinbarte Vertraulichkeit entgegen?
Hier ist zwischen der gesetzlichen Schweigepflicht für bestimmte Berufsgruppen wie Psychologen, Ärzte und Rechtsanwälte und der vertraglich vereinbarten Vertraulichkeit zu unterscheiden:
Übt der Coach Coaching im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Mediziner oder Anwalt aus, gelten für ihn selbstverständlich die beruflichen Regelungen auch im Coaching, so dass eine gesetzliche Schweigepflicht bestehen kann.
In der Regel wird der Coach aber Coaching außerhalb dieser Berufe anbieten. Zur Vertraulichkeit hat sich der ICF Coach dann im Vertrag oder auf der Grundlage der Ethik-Richtlinie freiwillig selbst verpflichtet. Diese vertraglich vereinbarte Vertraulichkeit kann dann aber anders als die gesetzliche Schweigepflicht gegenüber gesetzlichen Meldepflichten keinen Einwand begründen.
Mit einer Ausnahme: Immer dann, wenn sich der Coach selbst belasten würde, erhält er ein gesetzliches Schweigerecht, auf welches er sich berufen kann oder auf welches er freiwillig verzichten kann.
Dr. Geertje Tutschka, MCC
ist Rechtsanwalt und Legal Coach mit eigenen Kanzleien in München und Salzburg, in welchen sie sich vor allem auf Coaching- und Seminarverträge spezialisiert hat. Mit der Beratungs- und Weiterbildungsagentur für Juristen CLP begleitet sie Kolleginnen und Kollegen seit über 10 Jahren in allen Phasen der juristischen Karriere. Seit über 5 Jahren ist sie außerdem Director of Training der Legal Coaching Ausbildung in der CLP-Academy, die als sogenannte ACTP bzw. Level 2 Ausbildung dem höchsten ICF Akkreditierungslevel für Ausbildungen entspricht.
Grafik: ICF
coachfederation.de | coachingtag.com
ISSN: 2702-7880
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